Besucht man zum ersten Mal eine neue Stadt, fällt eines immer sofort ins Auge: wunderschöne Architektur. Charmante Fachwerkhäuser, beeindruckende Kirchen, bezaubernde Schlösser und abgefahrene moderne Gebäude – Architektur ist in Deutschland mindestens genauso vielfältig wie die Auswahl an Brot beim Bäcker.
Doch aus welcher Zeit stammen die unglaublich schönen Bauwerke? Und wo in Deutschland verstecken sich die architektonischen Schätze? Die Reiseexperten von Travelcircus sind mit Architekturbüchern im Gepäck losgezogen und haben eine Zeitreise durch die wundervollen Epochen der Architekturgeschichte mitgebracht.
Das Wichtigste in Kürze:
- Deutschland hat weltweit die drittgrößte Anzahl an UNESCO-Welterben
- Ein gotischer Dom wurde erst nach 600 Jahren fertiggestellt
- Die Römer gründeten schon vor über 2.000 Jahren heutige Städte
- Eine reiche Familie brachte die Renaissance nach Deutschland
- Antike Vorbilder kommen in der Architekturgeschichte besonders gerne vor
Architektur in Deutschland
Von charmanten Fachwerkhäusern über prunkvolle Schlossanlagen bis hin zu monumentalen Gebäuden – was gibt es Einprägsameres als Architektur? Anhand gut erhaltener Bauwerke lassen sich auch heute noch die Geschichte sowie die Gegenwart Deutschlands deutlich ablesen.
Von Stadt zu Stadt, innerhalb eines Ortes oder sogar in einem Gebäude existieren unterschiedlichste Baustile nebeneinander und schaffen ein einzigartiges und wunderschönes Bild vielfältigster Architektur.
Antike (500 v. Chr. – 400 n. Chr.)
Das Leben in der Antike hat die Menschen schon immer fasziniert. Kein Wunder, waren die Römer mit ihrer Kultur und in ihrer Baukunst für die damalige Zeit besonders fortschrittlich. Sie bauten nicht nur Siedlungen, sondern auch ganze Städte sowie ausgezeichnete Befestigungsanlagen.
In einer der ältesten Städte Deutschlands kann man auch heute noch den Spuren der Römer folgen. Vor über 2.000 Jahren unter dem Namen Augusta Treverorum gegründet, wurde Trier schon damals nicht als Armeen-Lager, sondern als kultivierte Stadt genutzt.
Am Eingang der Stadt steht die Porta Nigra. Das mit am besten erhaltene Stadttor aus der Antike ist heute Triers Wahrzeichen. In der gesamten Stadt verteilt gibt es zahlreiche Bauwerke der Römer, die heute UNESCO-Welterben sind.
Romanik (800 bis 1250)
Wie der Name der Epoche unschwer erahnen lässt, wurden in der Romanik römische Vorbilder für die Baukunst herangezogen. In der Romanik wurde beim Kirchenbau eine römische Markthalle, auch Basilika genannt, nachgeahmt.
An der Straße der Romanik, die durch Sachsen-Anhalt führt, findet man auch heute noch zahlreiche Werke der Epoche.
Ein bedeutendes Bauwerk der Romanik in Deutschland ist der Dom zu Speyer. Der im 11. Jahrhundert vollendete Dom war zu dieser Zeit das größte christliche Gebäude der Welt.
Heute gehört der Dom zu Speyer zu den UNESCO-Welterben. Als eine der ältesten Städte Deutschlands gibt es in Speyer auch noch viele andere spannende historische Sehenswürdigkeiten zu entdecken.
Gotik (1250 bis 1500)
Auch in der Gotik spielte das Christentum weiterhin eine wichtige Rolle. Hinzu kam der wachsende Reichtum mancher Städte, der die Verbreitung der Gotik vorantrieb.
Anders als in der Romanik sollten die Kirchen in der Gotik schwerelos wirken. Ziel war es, den Gottesstätten mehr Andacht zu schenken. Dieser Effekt wurde durch eine besondere Skelett-Bauweise erreicht.
Eine der größten Kathedralen der Welt wurde im gotischen Stil gebaut: der Kölner Dom. Während der Bau des heutigen UNESCO-Weltkulturerbes bereits 1248 begann, wurde die Kirche erst 1880 zu Zeiten des Historismus vollendet.
Durch seine späte Fertigstellung wurde der Dom im 19. Jahrhundert zu einem deutschen Nationalsymbol. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das unversehrte Gebäude auch zu einem Symbol für Lebenswillen.
Renaissance (1500 bis 1650)
Kein Wunder, dass der Name Renaissance von dem französischen Wort renaîntre für Wiedergeburt abgeleitet wurde, werden hier Formen aus der Antike wie dekorative Säulen und Kuppeldächer wieder aufgenommen.
100 Jahre später als in Italien fand dieser Baustil auch in Deutschland Anklang. Besonders in der damaligen Handelsstadt Augsburg wurde die Renaissance durch die Familie Fugger ins Leben gerufen.
Ein unglaubliches Bauwerk der Renaissance in Deutschland ist das Augsburger Rathaus. Das in dem italienischen Stil komplett neu erbaute Haus galt mit seinen sechs Stockwerken damals als weltweit einzigartig.
Dank der Einwanderung der reichen Familien Fugger 1367 gibt es in Augsburg noch weitere bezaubernde Renaissancegebäude: Auf der Europäischen Fuggerstraße gibt es noch die Kirche St. Anna sowie die Fuggerhäuser mit Damen- und Turnierhof zu entdecken.
Barock (1650 bis 1750)
Die Zeit des Barocks war in Deutschland gleichzeitig auch die Zeit der Herrschaftsarchitektur der Fürsten- und Königshäuser.
Im Kontrast zur Renaissance wurde den klaren, nüchternen Formen mit theatralischen Akzenten Ausdruck verliehen. Besonders beliebt waren plastische Formen, die sich an geschwungenen Linien orientierten.
Eine zauberhafte Gartenanlage umgeben von wunderschön verzierten Häusern, Pavillons und Balustraden – der prachtvolle Dresdner Zwinger raubt einem beim ersten Anblick den Atem.
1709 fertiggestellt, diente die Anlage als Orangerie und natürlich als Festareal, welches das Prestige der Stadt repräsentierte.
Rokoko (1725 bis 1780)
Noch üppiger wurde es in der Spätphase des Barocks, denn hier übernahm der Rokoko die Oberhand. Die Ornamente wurden leichtlebiger und beschwingt, aus der Farbwelt wurden zarte Pastelltöne verwendet und die Innenräume wurden noch pompöser ausgestattet.
Klassizismus (1770 bis 1850)
Nach mehr als 100 Jahren voll prunkvollem Barock und Rokoko sehnten sich die Menschen wieder nach der Einfachheit der Dinge, die Formgebung aus der Antike wurde wieder in den Vordergrund gerückt.
Konträr zur Renaissance wurden diese Elemente nicht unbedingt zu dekorativen, sondern streng zu konstruktiven Zwecken verwendet.
Jeder kennt es – das Brandenburger Tor. Eines der letzten Stadttore Berlins hat sich während seiner Geschichte zu einem weltweit bekannten Nationalsymbol entwickelt. Doch auch bei seiner Fertigstellung 1793 war es schon etwas ganz Besonderes.
Als eines der ersten Bauwerke des Klassizismus im damaligen Preußen, leitete es den Beginn dieser Stilepoche ein. Doch es blieb nicht das einzige klassizistische Gebäude Berlins. Ganze 68 weitere Gebäude wie die Neue Wache, das Schauspielhaus sowie das Alte Museum werden dieser Epoche zugeschrieben.
Historismus (1850 bis 1900)
Im 19. Jahrhundert rückten Literatur und Philosophie in den Vordergrund, der Baukunst wurde weniger Beachtung geschenkt. Neue Gebäude entstanden daher im Stil des Historismus.
Man griff bekannte Formen wieder auf und ahmte vergangene Baustile schlichtweg einfach nach. Neue Gebäude wurde daher im Stil der Neogotik, Neoromanik, Neorenaissance sowie des Neobarocks errichtet.
Auch 1886 bis 1897 wurde das sechste Hamburger Rathaus im Stil der Neorenaissance erbaut. Das direkt neben der kleinen Alster errichtete Gebäude mit seinem 122 m hohen Turm ist heute ein wichtiges Element des Hamburger Stadtbilds.
Auch auf der Ludwigstraße in München kann man sich von zahlreichen Gebäuden der Neorenaissance verzaubern lassen.
Jugendstil (um 1900)
Mit der reinen Nachahmung im Historismus hatten viele Menschen schnell ein Problem. In England entwickelte sich die sogenannte „Arts and Crafts”-Bewegung, die in Deutschland als Jugendstil bekannt geworden ist.
Im Jugendstil wurden wieder dekorative Elemente wie geschwungene Linien und besonders auch florale Ornamente eingesetzt. Man wandte sich von historischen Bauformen ab und machte sich auf die Suche nach einem zeitgenössischen Baustil.
Eine Gruppe, die es schaffte, einen für sich zeitgenössischen Stil zu finden, war die Künstlerkolonie in Darmstadt. 1899 auf der Mathildenhöhe gegründet, führte sie dazu, dass Darmstadt zu einem wichtigen Mittelpunkt des Jugendstils in Europa wurde.
Mit dem heutigen UNESCO-Welterbe gelang den Darmstädtern mit ihrer zukunftsweisenden Architektur ein Aufbruch in die Moderne.
Moderne (seit 1910)
Wie bereits im Jugendstil angedeutet, bahnte sich seit 1910 in der Architektur eine moderne Bauweise und Formgebung an. Innerhalb dieser Epoche der Moderne entwickelten sich zahlreiche Strömungen.
Drei der großen epochalen Einschnitte sind die Klassische Moderne, die Postmoderne sowie die Neue Moderne.
Klassische Moderne (1910 bis 1960)
In der Klassischen Moderne entwickelten sich zahlreiche neue stilistische Einrichtungen wie der Deutsche Werkbund. Auch wurde viel mit neuen Materialien, wie z. B. Stahl, experimentiert.
Eine wichtige architektonische Lehrstätte in Deutschland zur Zeit der Klassischen Moderne war das Staatliche Bauhaus in Weimar.
Postmoderne (1980 bis 1995)
1980 kamen die Ideen der Postmoderne auch nach Deutschland. Konträr zu anderen modernen Strömungen wandte man sich in der Postmoderne nicht von der Tradition ab, sondern wieder historischen Vorbildern zu.
Der Messeturm Frankfurt wurde 1991 als höchstes Hochhaus innerhalb Europas errichtet. Bei der Form, die an einen Bleistift erinnert, hat sich der Architekt Helmut Jahn an Wolkenkratzern aus der Stilrichtung Art-Déco orientiert.
Neue Moderne (seit 2000)
Auch seit der sogenannten Neuen Moderne werden die Ideen des Modernismus in der Architektur durchgesetzt. Geprägt von zahlreichen spannenden Strömungen und talentieren Architekten scheint es in dieser Epoche bei der Kreativität keine Grenzen mehr zu geben.
Ein Beispiel für die Neue Moderne ist der Neue Zollhof in Düsseldorf. Hier hat der Architekt Frank O. Gehry um das Jahr 2000 einen einzigartigen Gebäudekomplex am Düsseldorfer Hafen designt.
Es entstanden drei geometrische Bauten, die durch ihre Form eher an Skulpturen als an Häuser erinnern. Das Besondere an diesen Gebäuden ist außerdem, dass sich alle drei in Form und vor allem auch in Material unterscheiden.
Redaktionstipp
Wer sich neben der Architektur auch für die Raumgestaltung und das Design seit der Zeit der Industrialisierung interessiert, sollte auf jeden Fall mal einen Abstecher nach Weil am Rhein machen.
In einem Gebäude des modernen Architekten Frank O. Gehry befindet sich das Vitra Design Museum mit einer riesigen Ausstellung zum Thema Möbel- und Innenraumgestaltung.